Challenge Roth: Isabels erste Langdistanz

9. August 2019 | Triathlon

„Wenn einmal Langdistanz, dann nur Roth!“ Die Challenge Roth, bei jedem Triathleten bekannt, ist das Triathlon-Mekka schlecht hin. Und nun sollte es tatsächlich für mich soweit sein? Gern möchte ich dich mit diesem Race-Bericht an meine erste Langdistanz teilhaben lassen. Es war ein sehr langer Tag für mich, also folgt ein langer Bericht für dich 😉

Dank eines Gewinnes im Juni 2018 hatte ich nun einen legendären Startplatz für die Challenge Roth 2019 ergattert. Auf der einen Seite große Freude, auf der anderen Seite großes Kopfkino. Ich bin eine berufstätige Mama mit zwei Kindern im Alter von drei und fünf Jahre. Vor zwei Jahren habe ich meine erste Halbdistanz erfolgreich gefinisht. Ich kann in etwa einschätzen, welche Trainingsumfänge in Vorbereitung auf die Langdistanz auf mich zukommen. All diese Gedanken besprach ich mit meinem Mann. Er selbst hat schon vier Langdistanzen erfolgreich gefinisht, zwei davon bei der Challenge in Roth.  Als Triathlontrainer mit C-Lizenz verfügt er nicht nur über praktische Erfahrungen, sondern auch über trainingsspezifisches Fachwissen. Ich bin also in besten Händen für das geplante Vorhaben „erste Langdistanz in Roth“.  Einiges wurde zudem schnell klar: ich brauche einen Triathlon Verein. Gerade für die Motivation und speziell für das Schwimmtraining ist das Training unter Gleichgesinnten von großem Vorteil. Die Wahl fiel auf dem Moritzburger Triathlonverein. Zum einem spielte dabei die lokale Nähe zum Wohnsitz eine Rolle und zum anderen kannte ich bereits ein paar Vereinsmitglieder. So begann also im Oktober 2018 ein langer und trainingsreicher Weg zur Challenge Roth 2019 mit dem Moritzburger Triathlonverein.

Der Renntag

Pre-Race und 3,8km Schwimmen

Die letzte Nacht vor dem längsten Tag des Jahres war viel erholsamer als gedacht. 4:30Uhr klingelte der Wecker nach fast sieben Stunden Schlaf mit nur kleinen Unterbrechung. Das Frühstück hatten wir am Abend zuvor vorbereitet und ich konnte aufgrund der Aufregung besser essen und trinken als vor manch anderen Rennen. Die Aufregung hielt sich zu meinem Erstaunen in Grenzen. Und dann ging es los zum Start. Wir saßen kaum im Auto, plötzlich trommelten dicke Regentropfen auf das Dach. Ich dachte mir: „Ok, besser jetzt Regen als dann auf dem Rad.“ Etwas überrascht war ich schon, denn es war kein Regen vorausgesagt. Nach 25min Fahrzeit errichten wir den Schwimmstartbereich. Es war schon wildes Gewusel um uns herum, es regnete immer noch, aber ich war trotz allem noch erstaunlich ruhig und sehr konzentriert auf das weitere Einrichten meiner Wechselzone wie Trinksystem am Rad anbringen, Räder aufpumpen, das stille Örtchen aufsuchen, den Herzmann nochmal zum Auto schicken um die vergessene Verpflegungsflasche zu holen, nach dem verlorenen Handy am Vortag am Infozelt fragen und letztendlich den Neoprenanzug überstreifen und die nicht mehr benötigten Kleidungsstücke dem Herzmann überreichen. Danach begab ich mich langsam aber sicher zum Vorstartbereich. Es war 7 Uhr, in 10min würde der Kanonenschlag für meine Startgruppe ertönen. Es war eine einmalige Atmosphäre: Vorfreude, enorme Konzentration und die ein oder andere Teilnehmerin mit Tränen in den Augen. Beim Einstieg in den Kanal standen sehr viel Helfer, die uns abklatschen, viel Glück wünschten und eine La -Ola-Welle machten. Das Wasser hatte für mich eine angenehme Temperatur, beim Schwimmtraining zwei Tage vorher war es mir mit Neoprenanzug viel zu warm. Ich reihte mich in der vorderen Hälfe ganz rechts ein und schon ertönte der Kanonenschlag. Zum Glück gab’s einen sanften Start, es wurde nicht zu schnell angeschwommen, ich bekam keine Hände und Füße ab, konnte mich sehr schnell einreihen und mein Tempo von Anfang bis Ende durchschwimmen. Aller 5min starteten hinter uns weitere Männergruppen – da wurde es manchmal etwas grober, wenn eine größere Gruppe von schnellen Männern mich überholte. Während der ganzen Schwimmstrecke begleiteten mich der Herzmann und Torsten, ein Trainingskollege. Es standen auch immer wieder kleine Schilder am Kanal, die uns zeigten, wieviel Meter wir schon geschwommen waren. Kurz vorm Ausstieg gab’s noch einmal richtig viel Gewimmel um mich herum. Von den Helfern wurden wir ans Land gezogen und konnten so zügig aus dem Kanal krabbeln. Jetzt schaute ich zum ersten Mal auf die Uhr: 1:32h. Ich schrie laut: „Juhu“ und freute mich sehr über den gelungenen Start meiner ersten Langdistanz, eine Zeit um die 1:30h war meine angepeilte Zielzeit für das Schwimmen. Den Weg zum Wechselbeutel hatte ich mir gut eingeprägt und fand ihn auch schnell. Dann ging es ab ins voll besetzte Wechselzelt zum Umziehen. Eine liebe Helferin unterstützte mich beim Ausziehen des Neoprens und legte mir meine Wechselsachen für das Radfahren bereit. Ich zog mich komplett um und nahm die 10 langen Wechselminuten dafür gern in Kauf.

180km Radfahren mit einigen Problemen

Nach einem erfolgreichen Schwimmen folgte nun mein Lieblingspart. Nachdem ich mich komplett umgezogen hatte inkl. Windweste und Ärmlinge, stillte ich den Hunger, der mich schon beim Schwimmen überkam, mit einem Riegel und einer kleinen Honigschnitte, welche ich am Rad deponiert hatte. Doch so hatte ich nur eine Hand frei, zuerst Startnummer anlegen, Brille aus dem Helm und diesen aufsetzen, immer wieder einen Bissen nehmen und los ging es. Doch Halt! Beim Aufsteigen aufs Rad fehlt etwas. Wo ist meine Brille? Schnell wieder runter vom Rad, dem Helfer neben mir das Rad in die Hand gedrückt: “ Kannst du kurz halten? Hab meine Brille in der Wechselzone verloren…“ Schon war ich weg. Die Brille lag auf der Wiese, zum Glück noch unversehrt. Schnell wieder zurück zum Rad, mit einem Dankeschön aufgestiegen und los ging es endlich. Mein Supportteam war kräftig am Jubeln und ich schwebt gefühlt an allen vorbei. Ich fuhr rasch die Brücke über den Kanal hoch und bog die Abfahrt links hinunter um mich nun auf dem Rad einzurichten. Der Puls war natürlich viel zu hoch, also erst mal etwas Ruhe und einen Rhythmus rein bekommen. Schon bald kam die erste Verpflegung, ich schnappte mir wieder einen Riegel. Etwas Hunger hatte ich immer noch, und kalt war mir trotz umziehen auch. Der Wind ließ mich frösteln, und das blieb auch die ersten zwei Stunden so. Hinzu kam noch ein Regenschauer, also war es nun nicht nur kalt, sondern auch noch nass. Leider fand ich einfach keinen Rhythmus und Spaß hatte ich schon gar nicht. Die Beine waren kalt, die Muskulatur konnte nur schwer arbeiten. Und das bei der Disziplin, die mir doch am meisten Spaß macht. Was soll das nur? Kurz vor dem Solarer Berg bei Kilometer 70 machte sich mein entzündeter Mückenstich bemerkbar. Nach dem Schwimmtraining am Freitag hatte mich etwas zwischen Knie- und Kniekehle gestochen. Am Samstag war dieser Stich plötzlich dick und heiß. Mit kühlen und cremen versuchte ich das Ganze unter Kontrolle zu bekommen. Und nun hatte ich das Gefühl, dass mit jedem Tritt ein kleines Messer in meine Kniekehle steckte. Gerade an den Anstiegen war das sehr schmerzhaft. Ich konnte keinen richtigen Druck mehr auf das Pedal geben, so versuchte ich irgendwelche „Ausweichbewegungen“, doch nichts half. Drei Mal stieg ich vom Rad um die Kniekehle kurz zu massieren und das Bein zu dehnen. Half leider auch nicht. Ich war mittlerweile auf meiner zweiten Radrunde, der Wind nahm zu mit teilweise leichten Böen und mein Kopf wollte einfach nicht mehr. Die Gedanken drehten sich nur noch darum, wann und wo ich aussteige. Die Helfer und Zuschauer an der Strecke motivierten mich jedoch immer wieder, weiterzufahren und nicht anzuhalten. Der Herzmann stand wieder am Solarer Berg und ich teilte ihm mit, dass ich in Wechselzone 2 aussteige. Das Bein schmerzt schon seit Stunden und es wurde nicht besser. Ich bekam nochmal etwas Kühl-Creme auf den Stich und fuhr weiter. Kurz danach stand er wieder in Hilpotstein mit den Worten: „Das Ding wird heute zu Ende gebracht, denke an den Stoneman [Miriqiudi Road] letztes Jahr (290km mit sehr vielen Höhenmetern in 2 Tagen mit dem Rennrad durchs Erzgebirge. Da ging es mir an Tag 2 richtig mies mit Knieschmerzen). Auf den letzten 10km kamen mir dann die Tränen: ich konnte mir einfach nicht vorstellen wie ich jetzt noch einen Marathon laufen soll. Natürlich hatte er recht, dass ich es wenigstens versuchen sollte. Und dann stand kurz vor dem zweiten Wechsel Trainingskollege Torsten, der natürlich über meinen geplanten Ausstieg informiert war. „Belli, du liegst so gut in der Zeit. Du hast so viel und so hart dafür trainiert. Nicht dafür. Nicht dafür, dass du jetzt aussteigst. Du hast noch so viel Zeit für den Marathon. Das schaffst du. Ok? Ich warte auf dich kurz nach der Wechselzone. Bis dann! Und jetzt GOOOOOOO!!!!“ Ja, dann war Torsten weg und seine Ansage saß. In meinem Kopf hatte es den Schalter wieder umgelegt. Ich kam an der Wechselzone 2 an: ein Meer voller Helfer stand vor mir, einer nahm mir sofort mein Rad ab und ich stand plötzlich planlos da. „Alles ok, geht’s dir gut?“ fragte mich ein weiterer Helfer. „Ja, geht schon. Ich weiß nur gerade nicht wo ich hin muss…“ Da henkelte mich dieser Helfer ein, führte mich durch die Wechselzone, nahm meinen Lauf-Wechselsack entgegen und übergab mich im Zelt an eine Frau, die mir dann beim weiteren Wechsel zur Seite stand. Einfach unglaublich dieses Helferteam. Mir gab diese Geste nochmal so viel Kraft, sodass ich gar nicht mehr ans Aufhören dachte und nach 5min die Wechselzone 2 im Laufschritt verlassen konnte.

Marathon – Jeder einzelne Schritt bringt dich dem Ziel näher

Da war ich also in der Wechselzone 2 angekommen und hatte schon viele Stunden mit den Gedanken gespielt hier und jetzt auszusteigen. Doch mein großartiges Supporterteam und die geniale Unterstützung der Helfer in dieser Wechselzone haben mich dazu gebracht, einfach weiter zu machen. Ich konnte mir beim besten Willen nicht vorstellen, wie ich den 2. Marathon meines Lebens nach knapp 9h Vorbelastung mit 3,8km schwimmen und 180km Radfahren nun überstehen sollte. Mein vermisstes Handy tauchte übrigens im Lauf-Wechselsack wieder auf. Ich hatte es tatsächlich am Vortag vor der Abgabe des Rades und Laufsacks versehentlich da rein gesteckt 🙈. Ich nahm noch etwas Flüssigkeit zu mir und lief mit dem Handy in der Hand los, fast zeitgleich mit einer weiteren Frau. Wir tauschten ein paar Worte aus und waren uns einig, dass wir das jetzt auch noch irgendwie schaffen werden und genug Zeit für den Marathon haben, dann zog ich langsam davon. Kurze Zeit später entdeckte ich, wie angekündigt, Torsten. Er freute sich sehr, dass ich nicht aufgegeben hatte. Ich drückte ihm mein gefundenes Handy in die Hand und er übergab mir meinen MP3. Das ist in Roth zu meinem Glück nicht verboten. Ich hörte leise Musik, damit ich um mich herum noch alles mitbekam. Meine Beine fühlten sich sehr gut an, keine Spur vor den Vorbelastungen und die schmerzende Kniekehle vom Radfahren spürte auch nicht mehr. Ich dachte nicht daran, dass ich jetzt gerade versuchte noch einen Marathon zu laufen, sondern ich versuchte einfach im Hier und Jetzt zu sein. „Jeder einzelne Schritt bringt dich deinem großen Ziel näher.“ Und dann gab es so viel zum Schauen. Die vielen Zuschauer an der Strecke, die einem anfeuerten. Ich hörte so oft meinen Namen wie noch nie an einem Tag. Dennis von @runskills (Instagram) kam mir auf dem Weg zum Kanal entgegen „geflogen“, und am Kanal selbst waren noch so viele Läufer unterwegs, dass es gar nicht langweilig wurde. Hinzu kamen die Verpflegungsstellen aller 1,5km, bei denen ich zügig durchging und etwas Wasser, ISO und an jeder zweiten Verpflegungsstelle ein Gel nahm. So gestaltete sich die Sache doch relativ kurzweilig. Ich fand meinen Rhythmus mit einem Wechsel aus längeren Lauf- und kürzen Gehpassagen, um den Puls wieder etwas runter zu bekommen. Immer wieder standen der Herzmann und Torsten an der Strecke und motivierten mich mit lieben Worten. Diese vielen kleinen Dinge gepaart mit den ganzen Stimmungsnestern an der Strecke gaben mit immer wieder Motivation. Kein einziger Gedanke ans Aufgeben begleitet mich mehr. Auch nicht zu dem Zeitpunkt, als ich Probleme mit der Blase bekam. Ich hatte knapp die Hälfte des Marathons geschafft, als ich plötzlich einen brennenden Druck spürte, so als müsste ich auf einmal ganz dringend „Pippi“ und könnte es kaum noch halten. Ich ging schnell aufs Tixi, aber da kam nichts außer 1-2 kleine Tropfen. Ich wunderte mich, aber wenigstens war der brennende Druck wieder weg. Also weiter ging’s. Ich nahm an der Verpflegung wieder etwas Wasser und dieses Mal auch etwas Cola zu mir und lief weiter. Doch da begann das Spiel wieder von vorn. Der brennende Druck nach unten war wieder da. Ich wechselte von „Laufschritt“ in „zügiges Gehen“. Da wurde es besser. Es lag also an der Erschütterung beim Laufen. Doch ich hatte erst die Hälfte des Marathons geschafft. Sollte ich jetzt den Rest, sprich 21km gehen? Ich überlegte, rechnete Zeiten hoch und dachte dann nur so: „Ach nee!!! Da bist du ja jetzt nochmal mindestens 3h unterwegs. Das wird knapp mit der Cut-Off-Zeit“ Also Zähne zusammenbeißen und immer wieder so lange laufen wie es geht. Wenn es nicht mehr ging, bog ich kurz ins Gebüsch ein, ließ 1-2 Tropfen raus, und konnte so wieder ein paar Minuten weiterlaufen. Da kostet zwar auch etwas Zeit, aber Dank Zweiteiler konnte ich schnell die Hose runterziehen und es war allemal besser als den Rest der Strecke zu wandern. Und so lief ich dann schon wieder Richtung Roth. Die 30 Kilometer waren geknackt und plötzlich standen da am Streckenrand meine Kinder und Eltern. Da kamen mir sofort die Tränen vor Freude. Jetzt war es also nicht mehr weit, ich war nur noch einen alltäglichen Trainingslauf, wie ich ihn schon dutzende Mal absolviert hatte, vom Ziel entfernt. Doch dafür musste ich jetzt noch nach Büchenbach kommen und einige Hügel überwinden. Zudem dämmerte es nun allmählich. Bei Kilometer 34 merkte ich nun, dass auch die Waden langsam genug hatten. Sie begannen leicht zu krampfen. Gerade die bergab Passagen waren nicht ohne und ich musste nach wie vor immer wieder mal ins Gebüsch abbiegen und mich hinhocken. Doch irgendwann standen da die magischen 39 Kilometer. Roth und somit das Ziel waren zum Greifen nahe. Doch ich versuchte Ruhe zu bewahren und mich zu konzentrieren, damit die Waden und der Rest des Körpers mich noch heil ins Ziel bringen würden. Ich war schon über 14,5 Stunden unterwegs. Es folgte ein Abklatschen mit mehreren Zuschauern an der Strecke, ich überquerte die Bahnschienen und bog auf das letzte kurze Straßenstück ein bevor es ins Zielareal über den roten Teppich ging. Und da wurde es mir nun 100% klar mit einem lauten „Oh Gott, oh Gott!“ Ich habe es geschafft. Ich erreiche das Ziel, keine 1000m mehr.

Was für ein Tag. Ich schaute schon von weiten, wo ich ins Zielareal einbiegen musste. Es standen noch so viele Leute, und dann sah ich sie: meine zwei Mäuse. Was für eine Freude. Jeder schnappte sich eine Hand von mir und so liefen wir Hand in Hand freudestrahlend ins Ziel, bejubelt und abklatschend mit den Zuschauern. Meine beiden Kinder freuten sich so sehr und liefen die ganze Zeit mit an meiner Hand, es waren sicher noch 400m bis zum Ziel. Einfach nur unfassbar und 1000mal schöner als ich es mir die ganze Zeit erträumt hatte. Mein langer Traum war nun kein Traum mehr, sondern Realität. Ich habe nach 14:44h Hand in Hand mit meinen Kindern die Challenge Roth 2019 gefinisht.